ifa Gallery Stuttgart
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Camila Sposati
Breath Pieces
Die brasilianische Künstlerin und Forscherin Camila Sposati arbeitet in ihrer künstlerischen Praxis experimentell und interdisziplinär. Sie hinterfragt verschiedene Annahmen und Kategorien, die die westliche Denkweise prägt – wie etwa den Anthropozentrismus, die lineare Auffassung von Zeit oder die Trennung von Kultur und Natur. Atem-Stücke, ihre erste umfassende Einzelausstellung in Deutschland, erzeugt einen einzigartigen Erfahrungsraum, der in Stuttgart an weiteren Orten eine Resonanz erfährt und Sposatis künstlerische Erkundungen der letzten zwanzig Jahre als Ausgangspunkt nimmt. Die Ausstellung macht Perspektivwechsel erfahrbar und ereignet sich in drei Akten an drei verschiedenen Orten: in der ifa-Galerie, im Theatre of the Long Now bei den Wagenhallen und im Theater Rampe.
Das Konzept des Amerindianischen Perspektivismus beschreibt die Kosmologie indigener Communities aus der Amazonasgegend in Brasilien und umfasst eine Vielheit unterschiedlicher Realitäten – von Tieren, Pflanzen, und der Erde selbst, die aufs engste mit dem Menschen verwoben sind. Diese Art und Weise die Welt zu erleben und mit ihr verbunden zu sein ist zentral für das Projekt der Künstlerin in Stuttgart. Sposati interpretiert den Perspektivismus dabei als Möglichkeit, die Welt als aus zahlreichen subjektiven Standpunkten zusammengesetzt zu verstehen anstatt einer einzigen objektiven Realität den Vorzug zu geben. Insbesondere werden die Verbundenheit aller Lebewesen untereinander und ihre gegenseitige Abhängigkeit betont. Sposati hebt dadurch hervor, wie wichtig Austausch und die Koexistenz von unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen ist, sowie die Tatsache, dass sich menschliche und nicht-menschliche Welten miteinander formen.
Sposatis Aufmerksamkeit für die komplexen Zusammenhänge des Lebens breitet sich von der Ausstellung in der ifa-Galerie als Energiezentrum zu anderen Standorten in Stuttgart aus. Die Künstlerin befasst und konfrontiert sich in ihrer Praxis immer wieder mit neuen Kontexten und Situationen – mit dem sogenannten Anderen und Unbekannten, die sie auf sich selbst einwirken und sie verändern lässt. Für Sposati ist Stuttgart ein unbekanntes Gelände mit seiner geografischen Lage und Geologie, seinen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten sowie seinen menschlichen als auch nichtmenschlichen Bewohner:innen, die auf ganz spezifische Weise durch Migration geprägt wurden.
Das Projekt Atem-Stücke ist das Ergebnis eines Prozesses von Aushandlungen und Konversationen– letztere im etymologischen Wortsinn von "zusammen leben und agieren". Der erste Akt, ein Vorspiel zur Ausstellung im Theatre of the Long Now bei den Wagenhallen, begann am 1. April 2023. Mit Sonden wurden drei Löcher in den Stuttgarter Boden gebohrt und Proben entnommen. Die Erdlöcher durchliefen eine Verwandlung und wurden zu Erdinstrumenten indem ihnen Mundstücke aufgesetzt wurden. Im gemeinsamen Spielen wurden diese Erdinstrumente mit Atem gefüllt – man spielte für die Erde in Richtung Erdkern. Im zweiten Akt werden in der ifa-Galerie Stuttgart mehrere Generationen der Instrumentenserie "Phonosophia" von Camila Sposati miteinander und mit den Besuchenden im Austausch stehen.
Der dritte Akt im Theater Rampe erweitert diesen Kommunikations- und Austauschprozess. Sposatis Instrumente aus Ton dienen hier als Werkzeuge und Vermittler, indem sie unterschiedliche Menschen aus Stuttgart über den Atem beim gemeinsamen Spielen miteinander in Dialog bringt. Diese Einladung ist eine Erfahrung und ein Impuls, der eigenen Lebenswirklichkeit und dem Anderen, dem Unbekannten darin nachzugehen und nachzuhorchen und vielleicht sich selbst und in Verbindung zur eigenen Umgebung besser zu verstehen.
Die von Sposati erschaffenen Atem-Stücke zeigen die Komplexität, Vielfalt und Zufälle im Leben und ermutigen uns, neue Wege zu einem Verständnis der Welt und unserem Platz in ihr zu begehen. Ihre Vision alternativer Zukünfte wirkt aktivierend, um uns auf diese zuzubewegen. Mit ihrer Kunst lädt uns Sposati ein, den Blick zu weiten, die Verbundenheit aller Lebewesen zu erkennen und nach einem neuen Grundverständnis von Zusammenleben zu streben.
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